Thema verfehlt, oder: St. Google und die Webdrachen
Letztes Jahr im Dezember sorgte die Publikation eines Papiers mit dem Titel »Report on dangers and opportunities posed by large search engines, particularly Google« (PDF) für Aufsehen und, besonders wg. der darin angeführten »Google-Wikipedia-Verschwörung«, für Heiterkeit. Autor dieser Studie ist der »Informatik-Doyen« (futurezone) Prof. Herrmann Maurer von der TU Graz.
Auf der Learntec 2008, die gerade hier in Karlsruhe statt findet, kam es am Abend zu einer Podiumsdiskussion mit dem wunderschönen Titel »St. Google und die Webdrachen« mit, u.a., genau jenem Prof. Maurer. Das musste ich mir natürlich anschauen, es geht doch nichts über die persönliche In-Augenschein-Nahme…
In einer kurzen Einführung stellte Prof. Joachim Hasebrook, wissenschaftlicher Leiter der Learntec, den altbekannten Gottesbeweis der »Church Of Google« vor. Google ist nach Hasebrook nicht »gut« oder »böse« oder einfach eine Suchmaschine, sondern, wg. der Vielzahl der Dienste, vielmehr ein Medienkonzern.
Danach war die Reihe der Redner an Maurer. Kurz, arg kurz, skizzierte er seine Google-Kritik aus dem Papier:
Google zerstöre die Privatsphäre, es ist die »größte Detektei, die es je gab« (Zitat Maurer). Google sei eine Gefahr für den Aktienmarkt, da es mit seiner Datensammlung wirtschaftliche Entwicklungen voraussagen könne. Weiterhin verändere Google unsere »Sicht der Wirklichkeit«. Und es vernichte gar ganze Berufsgruppen wie Buchhandlungen, Musik, Film, Werbeagenturen! Und es erleichtere Plagiate und Urheberrechtsverletzungen, und: »Wissen wird immer oberflächlicher«. Und schuld ist Google.
Tja, und dann, liess er mit einem Verweis auf irgendeinen anderen am selben Tag gehaltenen Vortrag das Thema des Vortrags einfach Thema des Vortrags sein und begann, über etwas völlig anderes zu sprechen: Nämlich die »Gefahren des Web 2.0«. Na klasse, hätte so etwas einer seiner Studierenden gebracht, wäre das Echo wohl ein schnödes »Thema verfehlt« gewesen.
Damit war das ursprünglich angesetzte Thema der Diskussion erledigt, es ging fortan um die »Auswirkungen des Web 2.0«. Zunächst um den intellektuellen Qualitätsverfall, weil Studenten, Forscher und Journalisten nur noch in Google und Wikipedia recherchieren würden. Damit liegt er nicht mal so arg falsch. Liebe Studierende, auch wenn man dafür den Schreibtisch verlassen muss: für richtige Forschung, so mit Text- und Quellenkritik und so, muss man wohl oder übel den Schreibtisch verlassen und sich in eine Bibliothek bemühen…
Ansonsten lehnt Maurer die »Demokratisierung des Wissens« durch die vielbeschworene »Weisheit der Vielen« ab und wünscht sich lieber krude Mischungen aus »Experten-Communities« mit kommentierenden Beteiligungsmöglichkeiten für die ungewaschenen Massen in klaren Hierarchien, wie z.B. sein eigenes Projekt Austria-Forum oder den Wikipedia-Antipoden Citizendium.
Fazit: Thema verfehlt (wir erinnern uns: Google und Drachen!), wortreiches Oszillieren um seine eigentlich banale These (in meinen eigenen Worten zusammengefasst): »Man vertraue der Weisheit der Massen nur, wenn Experten die Oberaufsicht behalten dürfen.«
Im Anschluss an Maurers Rede kam es zu einer etwas länglichen Diskussion, u.a. mit Mathias Schindler, Wikimedia und Dr. Andreas Goerdeler aus dem Bundeswirtschaftsministerium. Maurer rief ein weiteres Mal nach staatlicher Regulierung für das böse Netz. Das wurde von Dr. Goerdeler zurück gewiesen. Es gäbe keine »harten« Fakten für eine kartellartige Machtposition, die eine Intervention erforderlich machen würde. Außerdem, und das war für einen Regierungsvertreter in diesen Zeiten wirklich ein erstaunliches Statement, müsse man dem Netz Freiheit zur Entwicklung lassen, und es sei wichtig, dass im Netz Freiräume zur (Zitat) »freien Verbreitung von Gedanken« bestehen bleiben. Würden Sie sich mal mit ihren Kollegen aus dem Innenministerium zusammen setzen, Herr Goerdeler?
Nach einigem unergiebigen Hin und Her über das Soziale im Netz endete die Diskussion, die ihr Thema verfehlt hatte. Was nehmen wir mit in die Nacht?
- Wenn es überhaupt etwas wie »Gott« gibt, dann ist das Google.
- Google ist ein Medienkonzern. Oder böse.
- Ein leibhaftiger Mensch aus der deutschen Regierung betont die Notwendigkeit von kommunikativen Freiräumen im Netz!
7 Kommentare
andI611 am 30.01.2008:
Ich durfte den Herrn Dr. Goerdeler schon persönlich kennen lernen. Is eine Weile her, aber er machte schon damals einen durchaus positiven Eindruck auf mich. Es ist nicht alles schlecht, was Beamtenstatus aufweist… :-)
Tim Schlotfeldt am 30.01.2008:
Ich bin mal vorbeigeschlendert, als er gerade in die Weisheit der Massen eingeführte. Ich habe mich dann fremdgeschämt und bin weitergegangen. Irgendwie schafft es Maurer, dass ich in jedem seiner Sätze seine Befürchtungen und Bedenken mitschwingen.
Boris am 30.01.2008:
Wenn irgendwo ein Medien-verdrahtetes Podium aufgebaut ist, tauchen schnell ein paar Experten auf und reden. Natürlich nicht miteinander, sondern jeder ausschließlich über sein Thema.
Und da Expertenwissen bekanntlich nicht geprüft wird, weil jeder Experte grundsätzlich immer recht hat, und weil solche Podien nicht staatlich reguliert und kontrolliert werden, entsteht in solchen Veranstaltungen in aller Regel bloß Gefasel mit geringwertigem Gehalt.
Ralf G. am 30.01.2008:
andI, in der Tat, der Mann macht für einen Beamten einen erstaunlich vernünftigen Eindruck.
Tim, das ist letztendlich seine Methode. Und die funktioniert, berühmt oder berüchtigt ist ja nur eine Frage des Standpunktes.
Boris, ich könnte das ja vertragen, wenn der Experte wenigstens beim Thema geblieben wäre.
Helge am 30.01.2008:
Großes Kino. Original österreichischer Wissenschaftsexport.
Depone am 01.02.2008:
»Man vertraue der Weisheit der Massen nur, wenn Experten die Oberaufsicht behalten dürfen.«
diesen von dir zitierten satz finde ich interessant, vor allem da, wenn ich mich recht erinnere, james surowiecki in ›the wisdom of crowds‹ darüber sprach, wie eine hierarchie in einer gruppe zu irrtümern führen kann und dadurch die weisheit der masse behindert wird.
spannend bleibt für mich in alldem auch die frage wie „experten“ teil einer gruppe sein können ohne eine hierarchie entstehen zu lassen und somit ihren beitrag leisten können und den beitrag der anderen schätzen…
Helge am 01.02.2008:
@Depone: Surowiecki beantwortet diese Frage recht genau: Independence. Die Entscheidungsfindungsprozesse müssen so gestaltet sein, dass die Einzelnen unabhängig zu ihrer Meinung kommen und nicht durch die Lauten oder Kompetenten in der Gruppe beeinflusst werden.