Artikel zum Thema »re-publica10«

re:publica 10 - Tag 3 und Fazit - Alles ist Beta und das vereinnahmende Wir

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Kalkscheune, Veranstaltungsort der rp10

Foto: Kalkscheune bei der rp10 von alice_c

Da ist sie auch schon wieder Geschichte, die re:publica 2010. Und weil die re:publica immer größer wird und »everyone a publisher« ist, gibt es im Anschluss eine wahrhaft exorbitante Flut von Rückblicken, Analysen und Schmähschriften aller Art zu lesen, zu hören und zu schauen. Durch dieses ergiebige digitale Konvolut habe ich mich, bedingt durch das nach drei Tagen fast schon logische postkonferenzielle Aufmerksamkeitsdefizit, noch nicht mal ansatzweise durchgewühlt.

Auch am dritten Tag gab es überraschenderweise noch Vorträge zu sehen und zu hören. Deren Besuch war leider nicht nur von individuellen Interessen, sondern auch durch schnöde Verfügbarkeit von Raum gesteuert. So landete man mitunter in Sessions, in die man eigentlich gar nicht wollte, aber trotzdem rein ging, weil dort die Verfügbarkeit von Plätzen lockte.

»Jean Luc und die Singularität vorm falschen Fenster« eröffnete meinen Session-Reigen an Tag 3. In der Gegenwart leben heisst, die Zukunft vergangener Zeiten zu erleben, und diese Session wollte, thematisch anknüpfend an den »Think Tank« Atoms and Bits unter Rückblick auf Zukunftsvisionen vergangener Zeiten sollten Visionen für unser Leben in der technischen und gesellschaftlichen Zukunft ausgearbeitet werden. Neue Formen der Arbeit wie Coworking und die durch das Internet gegebene Unabhängigkeit der Arbeit vom großen Raum »Firma« wurden darunter verstanden. Die Diskussion drehte sich um diese, in meinen Augen für den klangvollen Titel voller lockender Utopien eher gegenwärtigen allzu konkreten Themen, ich hätte mir mehr »Vision« (fliegende Autos, nahrungssynthetisierende Realweltdrucker und anderen utopischen Kram) gewünscht. Nichtsdestotrotz gab das Stündchen durchaus Denkanstöße und eine Literaturlist zum Thema »Zukunftsvisionen«.

flickr: Foto vom Vortrag von Miriam Meckel bei der rp10

Foto: Miriam Meckel bei der rp10 von Mario Sixtus

Danach ging es in den großen Saal, zum Vortrag von Miriam Meckel. Die allenthalben darüber zu lesende getwitterte Begeisterung kann ich leider überhaupt nicht teilen, viel mehr begannen mich ihre in einem furiosen Wortschwall viel zu ausufernden Ausführungen über die im Grunde recht banale Tatsache, dass menschliches Verhalten dann am besten ist, wenn es nicht vorhersehbar ist, recht schnell zu langweilen.

Um »Maptivism«, also Aktivismus mit Hilfe von Karten und Geodaten, ging es beim Vortrag von Christian Kreutz. Dabei wurden verschiedene Projekte vorgestellt, die mit Hilfe im Netz verfügbarer Karten und Daten ein Hilfsmittel bei der Verfolgung sozialer Anliegen aller Art zur Verfügung stellen. Ein schönes Beispiel dafür ist »Frankfurt gestalten«, ein »hyperlokales« Portal hinunter auf Straßenebene, wo mit auf die Karte gemappten Daten lokale Entscheidungen und Geschehnisse transparent gemacht und zu »bürgerlicher Partizipation« eingeladen werden soll. »Hyperlocal« ist eh das nächste große Ding, sagen alle. ;) Sachen aus diesem Bereich werden wir in den nächsten Jahren einige sehen, und daraus wird ein Druck entstehen an die »öffentlichen Hände«, die Daten dafür rauszurücken, Stichwort »OpenData«.

Um das ominöse »Leistungsschutzrecht«, das die Verlage der sterbenden Medienkonzerne in ihren glitzernden Glaspalästen gerne vom Staat als Geschenkle hätten, ging es beim Diskussionspanel unter dem schönen Titel »Let’s screw up the entire Internet to save newspapers«. Die einführende Mindmap des Moderators Matthias Spielkamp ist bei irights.info verfügbar. Irritierend war für mich bereits die erste Prämisse, die mit dem vereinnahmenden »Wir« als Metaargument behauptete, das System der Verlage, Medienhäuser und Verleger, dass die selbsternannte »Vierte Gewalt« aka Medienlandschaft in Deutschland ausmacht, sei an sich schon einmal als wünschens- und erhaltenswert zu betrachten. Das sehe ich z.B. nicht so, ich wäre da mal vorsichtig mit dem dauernden »Wir«.
Die Diskussion war recht kurzweilig, krankte aber daran, dass es keinen Befürworter des Leistungsschutzrechts auf der Bühne gab. Und natürlich an der simplen Tatsache, dass man über das Leistungsschutzrecht außer einer nebulösen Absichtserklärung aus dem schwarz-gelben Koalitionsvertrag und einiger polemischer Auftritte seiner Befürworter aus dem Hause Springer nicht sonderlich viel Konkretes weiß. Ergebnis gab es eigentlich keins. Alles Beta.

flickr: Foto von der Diskussion zur Freiheit im Internet bei der rp10

Foto: Diskutanten beim Freiheits-Panel bei der rp10 von bosch_hh

Zum Abschluß musste man sich bei der Diskussion »Kann denn Freiheit grenzenlos sein?« über die, wie der Name schon andeutet, Grenzen der Freiheit im Internet, erst einmal tüchtig aufregen. Die Veranstaltung wurde von einer Horde SPDler heimgesucht, deren Partei, ich sage nur »Otto-Katalog« und begeisterte Mittäterschaft am »Zensursula-Komplex«, in den letzten Jahren nicht unbedingt für eine Politk stand, die im Zweifel primär für die Freiheit einsteht. Argumentativ wollte die geballte sozialdemokratische Wir-Weisheit uns erzählen, »wir« (schon wieder!) hätten uns als Gesellschaft darauf geeinigt, dass es Inhalte gäbe, die »wir nicht sehen wollen«, und dass diese deshalb aus dem Internet weg müssten, oder zumindest vor unseren deutschen Wir-Augen verborgen werden müssten. Auch der staunende Moderator konnte sich an diese Übereinkunft des sozialdemokratischen Über-Wir mit der Gesellschaft über unerwünschte Inhalte nicht so recht erinnern.
plomlompom übernahm die Rolle des Verteidigers der totalen Freiheit im Netz und mahnte Ausbau von Kompetenz im Umgang mit dem Medium Internet als erfolgsversprechendere Alternative zu einer typisch sozialdemokratischen Verbotsorgie an. Herrlich, wie die Befürworter von Zensur und Kontrolle in polemische und stammtischeske Tiraden abglitten und plomlompom trotzdem ruhig auf seinen Standpunkt beharrte. Eine lehrreiche Veranstaltung, nicht wg. der Erkenntnistiefe bezüglich des Themas (auch Beta), sondern eher wg. der diskursiven Natur des »Wir«.

Und zum Abschluss wurde dann »Bohemian Rhapsody« gesungen

Und was bleibt als Fazit? Wir stecken mittendrin in der Revolution, Erkenntnisse über deren Natur und Richtung müssen deshalb naturgemäß immer vorläufig sein. Diesen Status der andauernden Entwicklung inmitten einer großen sozialen, ökonomischen und politischen Vorläufigkeit kann man wohl am besten als »Alles Beta, Baby« beschreiben. »Nowhere« ist so gesehen wohl nur die Beta-Phase von »Everywhere«.

Die fachliche Dimension mit der Jagd nach der Erkenntnis ist aber natürlich nur ein Aspekt, der andere ist das »social« sein mit allerlei Netzbekanntschaften im Rahmen einer solchen Konferenz. Und so hat es dem Autor dieser Zeilen auch bei der vierten Ausgabe eine Menge Spaß gemacht, die drei Tage vergingen im Fluge. Deshalb sage ich Danke und Danke, ein Riesen-Kompliment an alle »Macher«. Die Woche im April 2011 für rp11 ist schon vorgemerkt. ;)

re:publica 10 - Tag 2 - Volle Räume, große Themen

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Die re-publica hat in ihrer vierten Auflage langsam das Problem, das auch die letzten Ausgaben des CCC-Congress zur Hölle gemacht hatte: Es wird zu voll. Aus 700 Besuchern 2007 sind mittlerweile 2.500 geworden, gerade die kleinen Räume platzen aus allen Nähten und es geht dort zu Beginn der Veranstaltungen zu wie bei der Eröffnung von Elektronik-Discountern in Berlin. Da ich irgendwann bei einem der letzten Congresse für mich festgelegt habe, dass kein Vortrag es wert ist, wie ein Pendler in der U-Bahn von Tokyo zu stehen, musste ich auf einige mich thematisch interessierende Vorträge verzichten.

Am Morgen ging es in die Rotlichtatmosphäre des »Quatsch Comedy Club«, wo Geert Lovink über »Radical Critique Of Free Culture« reden sollte. Leider war der Vortrag nur eine kommentierte Übersicht über die Projekte seines »Institute Of Network Cultures und eine Literaturübersicht zu Netzkultur-Pessimisten von Frank Schirrmacher über Nicholas Carr bis hin zum notorischen Jaron Lanier. Etwas enttäuschend, da konnte auch San Precario, der Schutzpatron der Digitalen Bohème, nichts mehr raus reißen.

re:publica 10 - Bre Pettis mit dem MakerBot

Bre Pettis stellte den »MakerBot« vor, einen schon vom Congress bekannten 3D-Drucker. Das Dingen ist eine Art programmierbarer Heißklebestift, der in der Lage ist, dreidimensionale Objekte aus Plastik zu erstellen. Durchaus beeindruckend, was damit alles hergestellt wird, wie z.B. der MP3-Player in den Zeitläuften angemessener Handgranetenform auf dem Bild. Nach dem Vortrag konnte ich das Dingen mal aus der Nähe bei der Arbeit betrachten. Da fehlt nicht mehr viel, und bald können wir dreidimensionale Objekte genaus einfach »ausdrucken« wie ein Dokument auf ein Blatt Papier.

re:publica 10 - Daniel Schmitt von Wikileaks

Mittags sprach Daniel Schmitt über Wikileaks, die seit dem Irak-Video neulich fast jedermann bekannte Plattform für das Befreien von irgendwen aus irgendwelchen Interessen vor der Öffentlichkeit verborgenen Dokumenten, dem sogenannten »Whistleblowen«. Der Vortrag ähnelte ein wenig einem Verkaufsvortrag mit Slogans wie »your premier supplier for fresh documents«. Wikileaks wurde als »Partner« der etablierten Medien angepriesen, dort könne man Dokumente sicher ablegen, die sonst vielleicht zu einer Redaktionsdurchsuchung führen könnten. Das Interview mit Daniel Schmitt aus der Berliner Morgenpost erzählt im Grunde das, was auch im Vortrag gesagt wurde.

Zum Abschluss gab es noch eine Diskussionsveranstaltung der Fußballblogger. Die Profivereine tun sich noch ein wenig schwer, die Blogs als »richtige« Medien anzuerkennen, der Umgang mit den Emporkömmlingen aus dem Web ist, je nach Verein, sehr unterschiedlich und reicht von totaler Ignoranz bis hin zu vorsichtiger Partnerschaft.

Und zwischendurch trifft man neue und alte Netzbekannte und schimpft über das langsame WLAN, also wie immer auf Veranstaltungen dieser Art.

re:publica 10 - »The Internet is a public place« - Jeff Jarvis und die »Grundrechtecharte für den Cyberspace«

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Der Vortrag von Jeff Jarvis war einer der bisherigen (dieser Artikel wurde am Ende des zweiten Tags geschrieben) Höhepunkte.

Jarvis referierte das schon in einem Blog-Eintrag ausgearbeitete »German Paradoxon« aus. Sein amerikanisches Erstaunen über das splitternackte Erscheinen gemischter Sauna-Besatzungen auf der einen, aber fürchterliche Aufregung über Dinge wie Google Streeview auf der anderen Seite, verleitete ihn zu der Behauptung: Deutsche interessieren sich für »Privacy«, aber diese gilt nicht für die »Private Parts«.
Nach einigen Ausführungen über die unterschiedlichen Ausprägungen von »Privatsphäre« in unterschiedlichen Gesellschaften forderte Jarvis, dass wir das Internet als öffentlichen Raum garantieren müssen. Ein Verbot für Google Streetmap, wie es deutsche Dorfbürgermeister und andere lokale Potentaten fordern, wäre nur ein Anfang, am Ende dieser Verbotskette stände ein eingeschränkter öffentlicher Raum, in dem auch Du und ich keine Bilder mehr machen dürften, um diese z.B. im Blog unter die Leute zu bringen.

Deshalb bedarf es einer »Grundrechtecharte für den Cyberspace«, deren eigentümliche Wortwahl (wer sagt in diesem Jahrtausend schon noch »Cyberspace«) natürlich deren Verwurzelung in der legendären »Cyberspace Declaration Of Independance« von John Perry Barlow aus dem Jahre 1996 geschuldet ist. Jeff Jarvis´ Deklaration fordert (abgetippt von seinen Vortragsfolien):

  • Wir haben das Recht auf Vernetzung.
  • Wir haben das Recht zu Reden.
  • Wir haben das Recht uns zu versammeln.
  • Wir haben das Recht zu handeln.
  • Wir haben das Recht auf Kontrolle über unsere Daten.
  • Wir haben das Recht auf unsere eigene Identität.
  • Was öffentlich ist, ist ein öffentliches Gut.
  • Alle Bits sind gleich geschaffen. (Damit meint er »Netzneutralität«, RG.)
  • Das Internet sollte offen sein.

Donnernder Applaus für den sympathischen Professor aus den USA.

Die re:publica-Website hat ein Interview mit Jeff Jarvis und eine kurze Zusammenfassung. Nicht allen hat es gefallen, aber gerade bei dem Text hat die very german Angst aus der Abteilung »Medienkonzerne« die Tastatur geführt.