Artikel zum Thema »libyen«

In getwitterten Stahlgewittern

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»Aufgewachsen im Geiste einer materialistischen Zeit, wob in uns allen die Sehnsucht nach dem Ungewöhnlichen, nach dem großen Erleben. Da hatte uns der Krieg gepackt wie ein Rausch. In einem Regen von Blumen waren wir hinausgezogen in trunkener Morituri-Stimmung. Der Krieg mußte es uns ja bringen, das Große, Starke, Feierliche. Er schien uns männliche Tat, ein fröhliches Schützengefecht auf blumigen, blutbetauten Wiesen. Kein schönrer Tod ist auf der Welt . . . . Ach, nur nicht zu Haus bleiben, nur mitmachen dürfen!«
[Aus: Ernst Jünger: »In Stahlgewittern«]

Die Zeiten ändern sich. Zog Ernst Jüngers Generation noch höchstpersönlich, von der Gerechtigkeit ihrer Sache überzeugt, »in einem Regen von Blumen« in den Krieg, so hat die arbeitsteilige Gesellschaft des 21. Jahrhunderts dafür natürlich längst besoldete Stellvertreter, die in einem Regen von Tweets, aber nicht minder begeistert, los geschickt werden.

Ein Lehrbeispiel war der Libyen-Feldzug der NATO. Im Windschatten des »afrikanischen Frühlings« nutzte die libysche Oppostion die Gunst der Stunde und begann, mit getwitterten Splatter-Fotos und Gräuelberichten von unbekannter Authentizität die Social-Media-Öffentlichkeit des Westens zu beeinflussen, indem sie ihre Revolte als »Volksaufstand« dar stellte. Mit dem Gerücht über ein angeblich bevorstehendes Luftbombardement der libyschen Armee gegen die »Demokratiebewegung« liefen die twitternden und bloggenden Amateur-Strategen zur Hochform auf und schließlich wurde mit dieser Begründung das Eingreifen der NATO durch den UN-Sicherheitsrat gepeitscht. Das entsprach zwar wahrscheinlich nicht den Tatsachen (»Der Bundesregierung liegen keine detaillierten Informationen über Angriffe der libyschen Luftwaffe auf Zivilisten vor«, Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion am 21.4.2011), aber nun nahm das Geschehen seinen Lauf.

Ein großer Erfolg der Libyschen Opposition, Social-Media bewegt und mobilisiert. Qed. In Twitter brach ein Shitstorm gegen Westerwelle los, weil er einmal in seinem politischen Leben etwas richtig machte und sich gegen dieses militärische Abenteuer stellte. Man wollte dabei sein, man wollte in den Krieg, auf der Seite der Guten. Natürlich nicht persönlich, sondern mit dem Notebook auf dem Schoß.

Tweet von taz-Redakteur Mike Söhler am 19. März 2011

Nun, 7 Monate später, hat die NATO zu Ende bombardiert, Gaddafi ist tot, und was nun kommt in Libyen weiß noch niemand, wir werden es erleben. Die im Social-Media-Windschatten publizistisch mitmarschierenden Medien geben sich aber alle Mühe, das was kommen könnte schon einmal prophylaktisch schön zu schreiben.

Somit bleibt das erstaunliche Social-Media-Geschehen rund um den Libyen-Krieg der »Social-Media-Tiefpunkt« des Jahres 2011. Wir mögen tolle neue Technik haben und uns im alltäglichen Netzgeschehen als gesellschaftlich fortschrittlich gerieren, was haben wir doch gelacht und werden weiter lachen über die altmodischen Internet-Ausdrucker.
Letztendlich, das zeigte der März 2011, verhalten wir uns auch im Jahre 2011 wie Jüngers Generation 1914. Nur dass wir natürlich nicht mehr selbst los ziehen wollen, zu gefährlich, dem sei die arbeitsteilige post-industrielle Gesellschaft vor. Wir beobachten das lieber allzeit meinungsfreudig hinter dem Notebook und mokieren uns in Twitter und Co. über den Außenminister, weil er nicht fröhlich mit marschieren wollte. Die »trunkene Morituri-Stimmung« produziert nur noch Tweets.