Wann immer in der Welt etwas Schlimmes passiert, trompetet es durch das Netz: »Jaaaa, wir hier im Web 2.0 sind ja soooooo viel schneller als diese ganze komischen langsamen Hanseln in den alten Medien.« Twitter, everybody’s web darling – zumindest, wenn es gerade nicht an Skalierungsschmerzen leidet – wird in diesem Zusammmenhang stets besonders lobgepriesen. Ob Erdbeben in China oder Rauch über Berlin, über Twitter erfährt man sofort davon.
Die Frage ist nur: Was habe ich davon, ist Geschwindigkeit überhaupt eine unumstrittene Tugend auf dem weiten Feld der Information?
Rückblende: 2002, der so genannte »11. September« war noch frisch. Drei- bis viermal im Monat gab es auf dem (oft auch »so genannten«) Nachrichtensender n-tv ein journalistisch entwürdigendes Spektakel zu bewundern. Wann immer in den USA irgend etwas passierte, bspw. ein brennendes Auto an einem Flughafen (was dann letztendlich nur ein Unfall war), wischte n-tv sein Programm beiseite und hing sich, ganz Zweitverwerter, an die stundenlangen Übertragungen der sensationslüsternen amerikanischen TV-Networks, offenkundig von der Hoffnung beseelt, das »nächste große Terror-Ding« live auf dem Sender zu haben. Letztendlich aber wurde eine Menge Sendezeit für irrelevantes Zeug geopfert.
Zurück in das Jetzt. Es ist die Zeit des »benutzererzeugten Inhalts«, und wenn Frau oder Herr Bürger, ausgestattet mit technischem Equipment zur direkten Übertragung in Ton, Wort und Bild, etwas Aufregendes erlebt, so geben sie in der Regel dem Drang nach, der Welt davon zu erzählen. Und in den Zeiten 2.0 kann man »der Welt davon erzählen« durchaus wörtlich nehmen.
Aber es hat einen guten Grund, dass nicht für alles und jedes die Programme unterbrochen werden: Es geht nicht nur um Geschwindigkeit, sondern auch um Fakten sammeln und Einordnen des Geschehens. Ohne natürlich die Opfer verhöhnen zu wollen (man weiss ja, alle kriegen alles in den falschen Hals), aber es ist egal, ob ich von einem Erdbeben in China jetzt, in der nächsten Tagesschau oder erst am nächsten Morgen aus der Zeitung erfahre. Dass Twitter schnell ist, ist schön. Aber wertlos, so lange der Bürgerjournalimus 2.0 nicht einordnet, sondern lediglich die »Klein-Fritzchen erlebt auch mal etwas Aufregendes«-Perspektive durch die technischen Möglichkeiten in die ganze Welt befördert. Das Glorifizieren der Geschwindigkeit ist lediglich ein Berauschen an der plötzlich zufallenden technischen »Macht«.
»So berichtet Jörg Armbruster, der bis 2005 für die ARD im Nahen Osten war, wie ihn ein Tagesschau-Redakteur aus dem Bett klingelte. Gegen zwei Uhr morgens habe der von einem Anschlag erzählt. Eine Diskothek brenne, Hotels seien zerstört und westliche Touristen getötet worden. ›Mein Einwand, ich müsse mich erst einmal informieren, zählte wenig‹, schreibt Armbruster. Hamburg habe ihm die ersten Informationen einfach durchgegeben, die er dann als ›Jörg Armbruster live aus Kairo‹ ausgab.«
So läuft das, und das ist untragbar. Kann man das Werten von Geschwindigkeit als Primärtugend den Laien im Web verzeihen, geht das bei Journalisten nicht. Geschwindigkeit mag eine Tugend sein. Aber Informationsqualität ist auch eine. Und nicht einmal die unwichtigere. Es ist an uns Zuschauern, diese Qualität einzufordern und zu honorieren.
In Deutschland tobt ein Krieg! Es wird um die Zukunft der überkommenen Medien im Web gekämpft. Verleger, Öffentlich-Rechtliche Sender und die gewählten Regenten dieser Republik sind der Ansicht, dass im Web jetzt mal »Schluss mit lustig« ist und Regulierungen her müssen. Politiker regulieren gerne, und die Verleger freuen sich stets über Regulierung, wenn sie ihren ökonomischen Interessen dient. Deshalb verläuft die Front derzeit zwischen der gemeinsamen Heeresleitung von Verlegern und Ministerpräsidenten (vor allem schwarzer politischer Couleur) auf der einen und den Öffentlich-Rechtlichen Sendern auf der anderen Seite. Die mögen zwar auch Regulierung, aber anders, sehen sie sich doch als Gralshüter des »Schönen Wahren Guten« gegen die fiesen kommerziell motivierten Meinungsmachtkonglomerate der Verleger.
Die Verleger führen den Kampf mit den ihnen zur Verfügung stehenden publizistischen Bodentruppen, besonders hervor tat sich dabei die FAZ, die seit Monaten mit tendenziösen Artikeln wie diesem die Öffentlich-Rechtlichen (ÖR) unter schweres Artilleriefeuer nimmt. Dass diese, insbesondere mit dem GEZ-Unwesen, mitunter ein leichtes Ziel abgeben, ist zwar wahr, ändert aber nichts an Schussrichtung und Motivation der Angriffe.
Gestern abend (30.4.08) schlug die ARD mit einem gezielten Raketenangriff zurück. Im Beitrag »Quoten, Klicks und Kohle« wurde über den Schatten des für die ÖR typischen Abwägungsgebot gesprungen und eine volle publizistische Breitseite abgefeuert. Nach dem bei »Wortfeld« zu lesenden durchgesickerten Entwurf eines neuen Rundfunkstaatsvertrag sollen die Aktivitäten der ÖR auf reine Sendungsbegleitung gedeckelt werden, was den Abschied für Angebote wie tagesschau.de bedeuten würde. Den Verlegern sind die Nachrichtenangebote der ÖR ein Dorn im Auge, denn wer sich dort umfassend informiert, besucht nicht mehr die ebenso seriösen wie informativen Klickstrecken von Angeboten wie welt.de, um dort als Klickvieh Seitenabrufe zu generieren. Der ARD-Beitrag nahm sich dem Thema auf unterhaltsam polemische Weise an und unternahm eine Reise durch die schöne neue Welt der Verleger im Web.
Die Botschaft zusammen gefasst: Die Verleger wollen die ÖR im Web weg haben. Der gesetzliche Informationsauftrag der ÖR ist in Gefahr, wenn sich die Bürgerinnen und Bürger nur noch auf den niveauärmeren privaten Angeboten »informieren«. Autor Thomas Leif besuchte mit der Kamera die Chefs und Redaktionen der Verleger-Angebote im Web, und deren Motivation wurde hervorragend herausgearbeitet. Die Verleger merken, dass die alten Medien Seher und Leser verlieren und wittern nun im Web das Geschäft. Hier können sie expandieren, nun auch Fernsehen machen, das sie aber lieber »Videojournalismus« nennen, denn Fernsehen in Deutschland unterliegt bekanntlich strengen Regeln. Zuschauer, die lieber auch im Web den (m.E. im großen und ganzen hervorragenden) Journalismus der Tagesschau aufrufen, statt sich den etwas einfältigen »User-Generated-Häppchen-Content« à la Zoomer rein zu ziehen, stören das Geschäft.
Apropos, besonders unterhaltsam war der Besuch bei zoomer.de. Fremdschämen war angesagt als ein Zoomer-Redakteur befragt wurde und eigentlich nicht so recht wusste, was er bei Zoomer so treibt. Und es gab einen unrühmlichen Auftritt von Mercedes Bunz, Online-Chefredakteurin des Tagesspiegels (von Holtzbrinck, die auch hinter Zoomer stehen), die Leif mitteilte, dass sie alles, was die ARD dort gedreht hat, vor der Veröffentlichung erst kontrollieren möchte. Im Schützengraben des publizistischen Stellungskriegs redet man halt anders als auf den Podien der »Web-Yeah-User-Super-Freiheit«-Zusammenkünfte dieser Republik, das war die ganz alte Schule…
Wer in diesem Krieg gar nicht vorkommt, sind wir, die wir »Web-2.0-mäßig« Inhalte unterhalb des Radars erzeugen. Das ist nicht das Schlechteste. Denn in einem Punkt sind sich die Kriegsparteien einig: Das mit dem Web jeder einfach so, am Ende auf eigene Rechnung und mit eigenen Produktionsmitteln, seine Inhalte einstellen kann, das geht auf keinen Fall…
»Blogs sind meines Erachtens nur in ganz wenigen Ausnahmefällen journalistische Erzeugnisse. Sie sind eher der Tummelplatz für Menschen, die zu feige sind, ihre Meinung frei und unter ihrem Namen zu veröffentlichen.«
Darüber sollte also debattiert werden. Wurde aber nicht. Wie immer, wenn Journalisten anfangen, eine Runde über das Internet zu problematisieren, wurde das Thema vorher nicht klar genug eingegrenzt. Während Herr Knüwer und Herr Alphonso über die Rolle von Weblogs sprechen wollten, wollte Herr Konken in seiner Brandrede plötzlich gar nicht über Weblogs gesprochen haben. Und Herr Jörges von stern.de, der sich süffisant von Don Alphonso Qualitätscontent wie eine »Anni-fastnackt«- und eine »kleine-Eisbären«-Fotostrecke unter die Nase reiben lassen durfte, sorgte sich nur um die Kontrolle der wüsten unflätigen Kommentatorenhorden, die seinen (Zitat) »organisierten Internetauftritt des Verlages« überrennen möchten. Gerade bei Jörges konnte man förmlich die Verachtung für die Pleb-Horden, die sich gefälligst durch ellenlange werbeverseuchte Klickstrecken klicken und Einnahmen generieren, ansonsten aber ihr Maul halten sollen, mit den Händen greifen.
Und in der Mitte drin saß Prof. Donsbach, für den verlässliche und wahre Orientierung für die konsumierenden Pleb-Horden in den Angeboten des Internets nur aus den Qualitätsschmieden der Verlage kommen kann. Na klar, Herr Donsbach, Anni und der kleine Eisbär helfen uns, in der unübersichtlichen Welt den Überblick zu bewahren. Das könnten Blogs wirklich nicht. Danke, Profis, dass Ihr uns so aufklärt und informiert…
Fazit: Eine merkwürdige Veranstaltung. Wie eine TV-Talkshow. Aber im Unterschichten-TV.
[Nachtrag:] mspro hat ein wenig in den Abgründen und Zwistigkeiten der verbandsmäßig organisierten Journaille gewühlt und die Ursache für Konkens pathologischen Web- und Bloghass ausgegraben. Dass Konken nicht in der Lage ist, eine solche anonyme Seite vom Rest zu differenzieren, disqualifiziert ihn in meinen Augen als ernst zu nehmenden Journalisten. Wir bloggende Zeitgenossen sagen ja auch nicht: Alle Journalisten sind wie Kai Diekmann…
»The Role of Podcasting in Critical and Investigative Journalism«
Bicyclemark, ein in Amsterdam lebender portugiesischer Podcaster, hält einen Vortrag über Podcasting als kritischen und investigativen Journalismus. Nach einer etwas länglichen und ein wenig gezwungen komödiantischen Einleitung über seinen Namen und sein Blog, erläutert er seinen Begriff »Podjournalism«. Wg. dieses Begriffs hat er irgendwelche Händel mit Wikipedia, lässt sich zumindest aus der Anzahl seiner Seitenhiebe auf selbige schließen…
Ausgangspunkt war in den späten 90ern (Zitat) »The Media Wasteland«, eine sich zusammenschließende schrumpfende Landschaft von Medienkonzernen in den klassischen Gebieten wie Zeitungen, Rundfunk etc.
Investigativer Journalismus, (Zitat) »the greatest we have in journalism«, wurde aus Kostengründen weitestgehend abgeschafft. Stattdessen gab es »Sensationalism« und »Bullshit Journalism«.
Merkmal des Old-Style-Journalism: Alles ist »Top-Down«. Oder auch: Medienkonzerne kochen. Wir essen es.
Irgendetwas musste diese Lücke füllen! Und was kam: Natürlich Blogs! ;-)
Und dann: Der Siegeszug der MP3-Player. Und “Media On Demand”. Und eine Sehnsucht nach dem »Ursprünglichen«, das in der kalten Perfektion allglatter Nachrichtenproduktionen verloren gegangen scheint.
Und auf all dem, dem Verfall der industriellen Medien, den in die Lücke stoßenden Blogs und die durch die Verbreitung von MP3-Playern geschaffene Basis zur Verbreitung von Sendungen »On Demand«, entsteht der Podjournalism, lt. Bicyclemark:
»The unpolished, personal research, focusing on a topic using available resources.«
»Sheds light on something happening in the world that effects people’s lives.«
»Opinion has its place besides actual fact based on research.«
Der Podjournalism hat den »Spirit« der guten alten investigativen Radio-Reporter.
Und die den Bloggern eigene, geradezu konstituierende Subjektivität, die im krassen Gegensatz zum Postulat der Objektivität, steht, welches sich der überkommene Journalismus auf die Fahne schreibt (zumindest formal)? Bicyclemark: »Is a myth!«
Der neue Podjournalism ist »Bottom-Up«: Keine Chefredakteure mehr, die Freiheit, ohne kommerzielle Zwänge kritisch (Werbekunden und damit einhergehende, auch implizite, Schreibverbote für gewisse Themen!) und kreativ sein zu können.
Podjournalism in Action:
joshwolf.net (Wurde bei einer Demo verhaftet, weil er nicht als Journalist anerkannt wurde).
Aussichten: Podjournalism steht im Wettbewerb mit den industriellen Medien, es gibt die Gefahr des Ausverkauf (Zitat): »Old Media has money, we don’t« – Industrielle Medien »kaufen« Podcaster und Blogger!
Und: »Will it survive?« Bicyclemark wagt keine Prognose, sondern sagt: »It’s up to you to decide what happens!«