Nun ist er also schon wieder Geschichte, der 23C3. Am gestrigen Silvesterabend waren die Nachwirkungen von vier Tagen Congress deutlich zu spüren, ich schaffte es so gerade noch ins neue Jahr hinein, man ist halt keine 20 mehr. ;-)
Der CCC-Congress ist wohl das einzige Ereignis, bei dem man bereits in der Nacht vor dem eigentlichen Start in einer Schlange steht, um das Ticket zu erwerben (Foto: ioerror@flickr). Das ist stets ein neuralgischer Punkt, da es keinen Vorverkauf gibt. Wir waren dieses Mal bereits am Abend vorher in Berlin eingetroffen und dachten, man könne um 01:00 Uhr in Ruhe vorher ein Ticket erwerben, denn man wollte schließlich nicht John Perry Barlow am ersten Tag verpassen. War nix!
Der Congress hat seine ganz eigene Atmosphäre, die man nur schwer denen vermitteln kann, die nicht dabei waren. Er ist nicht einfach nur ein weiteres Geek-Event mit Vorträgen, er ist auch nicht nur Hacken im schummrigen Licht des Hackcenters, er ist nicht nur ein Ort lebhafter Debatten über Themen der Netzkultur – er ist das alles zusammen und viel mehr. Man staunt immer wieder auf’s Neue über die tollen Ideen und Projekte, die dort vorgestellt werden. Bicyclemark hat einige Impressionen in einem hübschem Video zusammengestellt, das schon wieder Lust auf den nächsten Congress macht, wo man nicht mal die Tasche richtig ausgeräumt hat…
Fazit: Mir hat es auch dieses Mal gut gefallen, ein großes Danke schön geht an alle, die den Congress möglich gemacht haben. Und wenn nichts furchtbar Wichtiges dazwischen kommt, bin ich beim 24C3 natürlich wieder dabei.
Ein großes Problem, für das ich aber keine Lösung habe, ist die Sache mit der Konferenzsprache. Ich weiß, der Congress ist international, aber es gab einige Vorträge, bei denen man das Englisch der Sprecher kaum verstehen konnte, weil es von einem heftigen Akzent ihrer Muttersprache durchdrungen war. Und ich kann keinem noch so interessantem Thema folgen, wenn ich mich schon auf das nackte Verstehen der Worte höllisch konzentrieren muss. Martin hat die Problematik schon einmal sehr treffend geschildert. Simultanübersetzungen und ähnliche Dinge sind für eine solche Veranstaltung undenkbar, ergo scheint es so, dass wir uns mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner »Englisch« auf Kosten des Wortwitzes (man kann sich nun einmal in einer fremden Sprache nicht so ausdrücken wie in seiner eigenen) und (zumindest manchmal) der Verständlichkeit abfinden müssen. Schade.
»The Role of Podcasting in Critical and Investigative Journalism«
Bicyclemark, ein in Amsterdam lebender portugiesischer Podcaster, hält einen Vortrag über Podcasting als kritischen und investigativen Journalismus. Nach einer etwas länglichen und ein wenig gezwungen komödiantischen Einleitung über seinen Namen und sein Blog, erläutert er seinen Begriff »Podjournalism«. Wg. dieses Begriffs hat er irgendwelche Händel mit Wikipedia, lässt sich zumindest aus der Anzahl seiner Seitenhiebe auf selbige schließen…
Ausgangspunkt war in den späten 90ern (Zitat) »The Media Wasteland«, eine sich zusammenschließende schrumpfende Landschaft von Medienkonzernen in den klassischen Gebieten wie Zeitungen, Rundfunk etc.
Investigativer Journalismus, (Zitat) »the greatest we have in journalism«, wurde aus Kostengründen weitestgehend abgeschafft. Stattdessen gab es »Sensationalism« und »Bullshit Journalism«.
Merkmal des Old-Style-Journalism: Alles ist »Top-Down«. Oder auch: Medienkonzerne kochen. Wir essen es.
Irgendetwas musste diese Lücke füllen! Und was kam: Natürlich Blogs! ;-)
Und dann: Der Siegeszug der MP3-Player. Und “Media On Demand”. Und eine Sehnsucht nach dem »Ursprünglichen«, das in der kalten Perfektion allglatter Nachrichtenproduktionen verloren gegangen scheint.
Und auf all dem, dem Verfall der industriellen Medien, den in die Lücke stoßenden Blogs und die durch die Verbreitung von MP3-Playern geschaffene Basis zur Verbreitung von Sendungen »On Demand«, entsteht der Podjournalism, lt. Bicyclemark:
»The unpolished, personal research, focusing on a topic using available resources.«
»Sheds light on something happening in the world that effects people’s lives.«
»Opinion has its place besides actual fact based on research.«
Der Podjournalism hat den »Spirit« der guten alten investigativen Radio-Reporter.
Und die den Bloggern eigene, geradezu konstituierende Subjektivität, die im krassen Gegensatz zum Postulat der Objektivität, steht, welches sich der überkommene Journalismus auf die Fahne schreibt (zumindest formal)? Bicyclemark: »Is a myth!«
Der neue Podjournalism ist »Bottom-Up«: Keine Chefredakteure mehr, die Freiheit, ohne kommerzielle Zwänge kritisch (Werbekunden und damit einhergehende, auch implizite, Schreibverbote für gewisse Themen!) und kreativ sein zu können.
Podjournalism in Action:
joshwolf.net (Wurde bei einer Demo verhaftet, weil er nicht als Journalist anerkannt wurde).
Aussichten: Podjournalism steht im Wettbewerb mit den industriellen Medien, es gibt die Gefahr des Ausverkauf (Zitat): »Old Media has money, we don’t« – Industrielle Medien »kaufen« Podcaster und Blogger!
Und: »Will it survive?« Bicyclemark wagt keine Prognose, sondern sagt: »It’s up to you to decide what happens!«
Vorhin hielt Lawrence Lessig seinen Vortrag mit dem etwas verwirrenden Titel »On Free, and the Differences between Culture and Code«, und wurde vom Auditorium mit »Standing Ovations« gefeiert. Trotz des komischen Titels ging es darum, dass sein »Baby« Creative Commons (unter dessen Lizenzmodell übrigens auch dieses putzige kleine Blog steht) die Antwort auf die Herausforderungen für das Urheberrecht im digitalen Zeitalter des 20. Jahrhunderts ist. Lessig eröffnete mit einigen launigen Remix-Filmchen (u.a. diesem merkwürdigen Exemplar mit einer noch merkwürdigeren Website) und forderte, dass das Remixen vorhandener Werke der Kultur auf eine sichere rechtliche Grundlage gestellt werden müsse. Dies könne das gegenwärtige Urheberrecht nicht bieten, und Creative Commons (und seine Erweiterungen) sei die Antwort darauf.
Nichts Neues also für alle, die sich mit der Thematik schon einmal ein wenig beschäftigt haben. Aber es war meine erste Erfahrung mit dem mittlerweile schon legendären »Lessig-Präsentations-Stil«. Schon sehr beeindruckend und sehr effektiv. Die Ansicht einer solchen Präsentation sollte Pflicht für alle werden, die ihre Mitmenschen mit gräßlich überladenen und langatmigen Präsentationen tagaus tagein quälen…
Eines der interessanteren Projekte auf dem 23C3 ist die »Do-it-yourself«-Überwachung mit dem Sputnik. 1.000 dekorative Gadgets mit einem RFID-Chip wurden an die Besucherinnen und Besucher des Congress verkauft, die damit an einem Überwachungsexperiment teilnehmen. Ca. 30 RFID-Empfänger wurden im Gebäude verteilt. Diese empfangen und übermitteln die Signale an ein Visualierungssystem mit einem Terminal, auf dem die Bewegungen der Chip-Träger verfolgt werden können:
Eine Spur zu langatmig war dieses Mal der CCC-Jahresrückblick, zumal man als informierter Blogger von Welt ;-) die skizzierten Themen sowieso mitbekommen hat.
Eines der Highlights war natürlich der Vortrag von Beate über Ruby On Rails. Eigentlich war das ein Haecksen-Workshop für Frauen, aber der Raum war gerammelt voll, und vornehmlich männliches Publikum wurde dazu bekehrt, den Frickeleien Ade zu sagen und zukünftig in Rails zu entwickeln. ;-)
Die Abgründe des ePass beleuchteten starbug und Constanze. Fazit: Sicher ist was anderes!
Und Régine von we make money not art gebührt der Preis für den merkwürdigsten Vortrag bisher. Ohne Punkt und Komma und roten Faden stellte sie Projekte der Netzkunst vor. Unterhaltsam war es, aber mit dem eigentlichen Thema hatte es nix zu tun. Vielleicht ist der Vortrag auch deshalb nachträglich aus dem Fahrplan verschwunden?!?
Auch dieses Jahr verbringen wir die, wie der Hund Marie sagen würde, »Tage ohne Haut« zwischen Weihnachten und Neujahr auf dem Congress, dem 23C3. Das Motto der diesjährigen Auflage fragt, wem man eigentlich noch vertrauen kann: »Who can you trust?« Denn, wie Tim Pritlove zur Eröffnung bemerkte, wir, »die Guten«, müssen uns einer unangenehmen Sache stellen (mitgeschriebenes Zitat): »The ugly thing we’re all afraid of: Reality.«
Und Netz-Legende John Perry Barlow brachte in seiner Keynote gleich einmal die ob des Motto scheinbar klaren Fronten (nämlich: Hier, wir, die Guten. Dort, die, die bösen Überwacher, traue ihnen nicht!) ins Wanken, als er, nach einer Anekdote aus alten Zeiten in »The Well« über Vertrauen und Identitäten von Online-Zeitgenossen sich unvermittelt an das Publikum wandte und trocken bemerkte: »I don’t trust you.« Denn die übelsten Bedrohungen des sozialen Zusammenlebens im Netz, Viren und Spam, würden letztendlich von Leuten realisiert, die mit »unseren« Fähigkeiten ausgestattet sein müssen. Wieso funktioniert die soziale Kontrolle zwischen »uns« nicht, wieso sind einige von uns bei den »Bösen«, und warum tun »wir« anderen nichts dagegen? Man hätte in dem Moment, als Barlow nach seiner Frage eine sehr effektive Pause einlegte, eine Stecknadel im voll besetzten Saal 1 fallen hören können. Das saß!
Für mich war es eine tolle Sache, John Perry Barlow einmal live zu erleben, zierte doch seine »Declaration of the Independence of Cyberspace« einst, im Jahre 1996, meine allererste Website an prominenter Stelle.