Böse! Raub! Terror! Alles!
Gestern, nach Harald Schmidt und Polylux, blieb ich bei einer Reportage des Hessischen Rundfunks hängen. Der Einstieg: Bilder der Attentate von London und Madrid sowie des angeblichen Kofferbombenattentats in Deutschland und der Sprecher raunt aus dem Off, mit einem triumphierenden Timbre in der Stimme (aus dem Gedächtnis sinngemäß zitiert): »Na, was haben die Burschen gemacht? Genau, Sie haben sich im Internet verabredet und alles geplant!« Und damit war die Marschroute abgesteckt für die krude Reportage mit dem Titel »Betrüger, Erpresser, Terroristen. Die unheimlichen Herrscher des Internet.«.
Wer das verpasst hat und mal die häufig zu hörende These, dass sich die öffentlich-rechtlichen Sender in Machart und fachlichem Niveau längst dem Unterschichtenfernsehen angeglichen haben, bestätigt sehen möchte, kann sich den Film als Video auf der Website des HR anschauen.
Die Thesen waren: Überall sind Kriminelle, Milliardenschäden allüberall, lauter ahnungslose PC-Benutzer, und, na klar, gefährlicher Terror aus, im und mit dem Internet. Immerhin haben die Kollegen des HR sich dieses Mal die sich nach einem Angriff aus dem Internet öffnenden Tore der Stauseeen verkniffen und »lediglich« über abstürzende Flugzeuge geunkt…
Um den skeptischen Zuschauer zu überzeugen, bedarf es natürlich der »Kronzeugen vom Fach«, ohne die keine Reportage dieser Art auskommen kann. Einer war der notorische D.K. Matai, Gründer von Mi2G und als solcher von Beruf Panikmacher. In der noch kurzen Geschichte des Internets sorgte Mr. Matai bspw. 1999, 2002 und 2004 mit apokalyptischen Prophezeiungen über bevorstehende (und dann ausgebliebene) Cyberterrorismus-Katastrophen für Furore und, vor allem, für Zweifel an seiner eigenen Firma, Person und Methodik.
Was man dem Film vorwerfen muss: Er warf real existierende Probleme wie die Botnetze aus gekaperten Virenschleudern, Internet-Kriminalität und die tatsächliche oder hypothetische Bedrohung durch Terror in einen Topf und kochte daraus eine große Suppe des nebulösen Bösen, den »unheimlichen Herrschern«, im Netz. Diese Suppe wurde aber nicht in ihre Bestandteile zerlegt und nüchtern analysiert, sondern zusätzlich in einen großen goldenen Trog der mythischen Bedrohung gekippt, womit diese die Dimension einer religiös offenbarten Apokalypse gigantischen Ausmasses annimmt. Dem verschreckten Zuschauer, dem das Wissen fehlt, um das einordnen zu können, bleibt nur noch ein Stossgebet: Schäuble, hilf uns! Deshalb durfte selbiger natürlich auch zu Wort kommen. Er sagte das Übliche…
Wer diesen Film für bare Münze nimmt, für den liegt die Lösung für alles eigentlich auf der Hand: Windows muss verboten werden, damit verschwinden die Botnetze und Viren, und damit die Bedrohung vor Kriminalität, Online- und Offline-Terror…
Für diesen Film wollen die Macher lt. eigener Aussage ein Jahr recherchiert haben. Etwas weniger Recherche bei zweifelhaften Kronzeugen und eine deutlich stärker ausgeprägte analytische Trennschärfe hätten dem Werk deutlich besser zu Gesicht gestanden…