Artikel zum Thema »bnn«

Die »Große Spendeshow«

fernsehen dystopie bnn

Das Küchenkabinett bloggt über eine kontroverse Fernsehshow im niederländischen Fernsehen, genauer, des Senders BNN, mit dem Namen »De Grote Donorshow«, auf Deutsch »Die große Spendeshow«. Und die hat es in sich, denn in dieser Show spielen drei Kandidaten, die auf ein Spender-Organ warten, um die Niere einer todkranken Spenderin. Küchenkabinett sieht diese Fernsehshow-Idee als einen weiteren Schritt zur Realisierung von Medien-Dystopien wie den Film »Running Man« und als Indiz dafür, dass die Realität im Cyberpunk angekommen ist.

Auf den ersten Blick mag das so erscheinen. Eine Fernsehshow um Organe – für die »Kandidaten« um Leben und Tod – sieht nicht nur auf dem ersten Blick aus wie eine weitere Drehung in der Abwärtsspirale des moralischen und kulturellen Verfalls durch das Kommerzfernsehen…

Auf den zweiten Blick ist die Welt aber nicht immer Schwarz oder Weiß. Die Show soll eine »soziale Provokation« mit dem zeitgenössischen Mittel, die Massen zu erreichen: Eine Gameshow.

Das holländische Fernsehen hat eine einmalige Konstruktion. »Sende-Vereine«, kommerzielle Anbieter und so genannte »gesellschaftlich-relevante Gruppen« liefern Programme, für die der staatliche Sender NOS, der an eigenen Programmen nur Sport und Nachrichten produziert, die technische Infrastruktur bereit stellt. Insbesondere die Vereine sind interessant. Wenn man einen gründet und mindestens 150.000 Mitglieder stark ist, hat man ein Recht auf Sendeplätze in einem der drei landesweiten Programme. Einer dieser »Sende-Vereine« ist BNN, gegründet von Bart De Graaff. De Graaff, auch auf Spenderorgane angewiesen, starb 2002 an den Folgen einer lebenslangen Nierenerkrankung. Ihm zu Ehren heisst der Sender »Bart’s Neverending Network«. Das Problem des Mangels an Spenderorganen gibt es nicht nur in Deutschland, sondern auch in den Niederlanden. So möchte BNN das Bewusstsein für dieses Problem mit dem ganz großen »medialen Hammer« schärfen und produziert eine Show, die wie eine Realität gewordene Horrorvision rüber kommt. BNN-Chef Laurens Drillich (zitiert nach TV-Visie, übersetzt von mir):

»Der Mangel an Spenderorganen ist ein drängelndes Problem, das so leicht zu lösen wäre. Es stehen so viele Menschen auf der Warteliste, ohne dass sie Aussicht auf ein Spenderorgan hätten, dass das einer Lotterie gleich kommt. Darauf wollen wir aufmerksam machen.«

Auch das Spiel mit dem (kalkulierten) Gegenwind beherrscht BNN, auf ihrer Website verlinken sie die Google-News-Sammlung ihrer Kritiker mit der Aufforderung an diese, doch einen Spenderausweis auszufüllen…

Was lehrt uns diese Geschichte? Nicht immer ist alles so, wie es auf dem ersten Blick erscheint, auch wenn »Endemol« beteiligt ist (die die Show produzieren). Vielleicht ist die TV-Show einer der wenigen Wege, über den die so genannten »abgestumpften Massen« überhaupt noch für ein soziales Thema erreichbar sind?

Update 6.6.07: Die Show war ein großer »Fake«. Die allenthalben geschwungene Moralkeule ist unangebracht. »Unwürdig« (Ulla Schmidt) war nicht die Show, sondern die Tatsache, dass Menschen auf Organe warten und sogar sterben, weil sie keines bekommen, während mehr als genug davon im Boden verrotten. Aufmerksamkeit in der »Unterhaltungs-Gesellschaft« funktioniert im großen Stil nur noch mit den Mitteln eben dieser. Der Kulturpessimist in mir mag darob ein großes Klagelied anstimmen, an den Fakten ändert das aber nichts…