Mai 2008

In diesem Krieg sind alle Tricks erlaubt

journalismus web2.0 tv

Bild: great patriotic war 2

[Bild: "»great patriotic war 2« - axiepics@flickr":http://www.flickr.com/photos/axiepics/2087606800/ CC by-nc-nd, Thanx!]

In Deutschland "tobt ein Krieg":http://netzpolitik.org/2008/rundfunkaenderungsstaatsvertrag-vs-ard-und-zdf-im-netz/! Es wird um die Zukunft der überkommenen Medien im Web gekämpft. Verleger, Öffentlich-Rechtliche Sender und die gewählten Regenten dieser Republik sind der Ansicht, dass im Web jetzt mal »Schluss mit lustig« ist und Regulierungen her müssen. Politiker regulieren gerne, und die Verleger freuen sich stets über Regulierung, wenn sie ihren ökonomischen Interessen dient. Deshalb verläuft die Front derzeit zwischen der gemeinsamen Heeresleitung von Verlegern und Ministerpräsidenten (vor allem schwarzer politischer Couleur) auf der einen und den Öffentlich-Rechtlichen Sendern auf der anderen Seite. Die mögen zwar auch Regulierung, aber anders, sehen sie sich doch als Gralshüter des »Schönen Wahren Guten« gegen die fiesen kommerziell motivierten Meinungsmachtkonglomerate der Verleger.

Die Verleger führen den Kampf mit den ihnen zur Verfügung stehenden publizistischen Bodentruppen, besonders hervor tat sich dabei die FAZ, die seit Monaten mit "tendenziösen Artikeln wie diesem":http://www.faz.net/s/Rub475F682E3FC24868A8A5276D4FB916D7/Doc~E4595C841B6364DA9A03C3CF0FBF43CA0~ATpl~Ecommon~Scontent.html die Öffentlich-Rechtlichen (ÖR) unter schweres Artilleriefeuer nimmt. Dass diese, insbesondere mit dem GEZ-Unwesen, mitunter ein leichtes Ziel abgeben, ist zwar wahr, ändert aber nichts an Schussrichtung und Motivation der Angriffe.

Gestern abend (30.4.08) schlug die ARD mit einem gezielten Raketenangriff zurück. Im Beitrag "»Quoten, Klicks und Kohle«":http://www.swr.de/daserste/quoten-klicks-und-kohle/-/id=3436570/vbijck/index.html wurde über den Schatten des für die ÖR typischen Abwägungsgebot gesprungen und eine volle publizistische Breitseite abgefeuert. Nach dem "bei »Wortfeld« zu lesenden durchgesickerten Entwurf eines neuen Rundfunkstaatsvertrag":http://www.wortfeld.de/2008/04/11d/ sollen die Aktivitäten der ÖR auf reine Sendungsbegleitung gedeckelt werden, was den Abschied für Angebote wie "tagesschau.de":http://www.tagesschau.de/ bedeuten würde. Den Verlegern sind die Nachrichtenangebote der ÖR ein Dorn im Auge, denn wer sich dort umfassend informiert, besucht nicht mehr die "ebenso seriösen wie informativen Klickstrecken von Angeboten wie welt.de":http://uninformat.io/post/33221324, um dort als Klickvieh Seitenabrufe zu generieren. Der ARD-Beitrag nahm sich dem Thema auf unterhaltsam polemische Weise an und unternahm eine Reise durch die schöne neue Welt der Verleger im Web.

Die Botschaft zusammen gefasst: Die Verleger wollen die ÖR im Web weg haben. Der gesetzliche Informationsauftrag der ÖR ist in Gefahr, wenn sich die Bürgerinnen und Bürger nur noch auf den niveauärmeren privaten Angeboten »informieren«. Autor Thomas Leif besuchte mit der Kamera die Chefs und Redaktionen der Verleger-Angebote im Web, und deren Motivation wurde hervorragend herausgearbeitet. Die Verleger merken, dass die alten Medien Seher und Leser verlieren und wittern nun im Web das Geschäft. Hier können sie expandieren, nun auch Fernsehen machen, das sie aber lieber »Videojournalismus« nennen, denn Fernsehen in Deutschland unterliegt bekanntlich strengen Regeln. Zuschauer, die lieber auch im Web den (m.E. im großen und ganzen hervorragenden) Journalismus der Tagesschau aufrufen, statt sich den etwas einfältigen »User-Generated-Häppchen-Content« à la "Zoomer":http://www.zoomer.de/ rein zu ziehen, stören das Geschäft.

Apropos, besonders unterhaltsam war der Besuch bei "zoomer.de":http://www.zoomer.de/. Fremdschämen war angesagt als ein Zoomer-Redakteur befragt wurde und eigentlich nicht so recht wusste, was er bei Zoomer so treibt. Und es gab einen unrühmlichen Auftritt von Mercedes Bunz, Online-Chefredakteurin des Tagesspiegels (von Holtzbrinck, die auch hinter Zoomer stehen), die Leif mitteilte, dass sie alles, was die ARD dort gedreht hat, vor der Veröffentlichung erst kontrollieren möchte. Im Schützengraben des publizistischen Stellungskriegs redet man halt anders als auf den Podien der »Web-Yeah-User-Super-Freiheit«-Zusammenkünfte dieser Republik, das war die ganz alte Schule…

-Leider gibt es den Beitrag (noch?) nicht komplett online zu sehen- Den "Beitrag kann man online anschauen":http://www.swr.de/daserste/quoten-klicks-und-kohle/-/id=3436570/nid=3436570/did=3459588/1ckweyp/index.html (links, »Herunterladen«), auf der "Website zum Film":http://www.swr.de/daserste/quoten-klicks-und-kohle/-/id=3436570/vbijck/index.html kann man auch nur "einige der im Film gezeigten Interviews anschauen":http://www.swr.de/daserste/quoten-klicks-und-kohle/interviews/-/id=3436558/l3nidg/index.html.

Der Staatsvertrag ist so nicht akzeptabel, darum stimme ich "Netzpolitik zu, dass die Ministerpräsidenten ein wenig bearbeitet werden müssen":http://netzpolitik.org/2008/heute-abend-quoten-klicks-kohle-in-der-ard/. Das Web ist groß, es ist Raum für die "benutzergenerierten Infohäppchen für die Pisa-Generation":http://www.zoomer.de/, "Tennis-Spielerinnen-Po-Klickstrecken »seriöser« Zeitungen":http://uninformat.io/post/33221324 als auch bewährte Qualität à la "Tagesschau":http://www.tagesschau.de/. Auf keinen Fall darf das Web den Verlegern, die mit ihren regionalen Konglomeraten in vielen Regionen sowieso ein Print-Meinungsmonopol haben, als publizistisches »Geld-Verdien-Reservat« per Staatsvertrag zugeschlagen werden. Wenn wir ÖR wollen, muss es sie auch in der gewohnten Form im Web geben, die Verleger haben sich dieser Konkurrenz zu stellen.

Wer in diesem Krieg gar nicht vorkommt, sind wir, die wir »Web-2.0-mäßig« Inhalte unterhalb des Radars erzeugen. Das ist nicht das Schlechteste. Denn in einem Punkt sind sich die Kriegsparteien einig: Das mit dem Web jeder einfach so, am Ende auf eigene Rechnung und mit eigenen Produktionsmitteln, seine Inhalte einstellen kann, das geht auf keinen Fall…

4 Kommentare

oliver gassner am 01.05.2008:

Hm, wollen wir dann auch ÖR Zeitungen? Und Literaturverlage? Und wenn ja, warum nicht? (Durchaus ernst gemeint...) Generell hat deine Argumnetation massiv für sich, wobei mir immer noch eine andere Netzutopie vorschwebt. Sagen wir mal ins Unreine: Was, wenn das 'nächste Google' funktonieren würde, wie MIGROS - also: 'das soziale Kapital' / Genossenschaft. Supergern incl. Kulturprozent.ch

strange am 01.05.2008:

Kleine Ergänzung: Der Film steht zwar nicht als ganzes zur Verfügung. Unter der URL http://www.swr.de/daserste/quoten-klicks-und-kohle/-/id=3436570/vbijck/index.html findet man ihn aber in einzelne Kapitel zerlegt.

Boris am 02.05.2008:

Hm.. warum eigentlich nicht "ör" Zeitungen oder genossenschaftlich organisiertes Informationswesen. Idee, die man durchaus mal diskutieren müsste. Der Trend geht momentan ja eher - politisch gewollt - in die exakt gegensätzliche Richtung zur völligen Privatisierung/Kapitalisierung von Information und Wissen. Ich zähle zu meinen Informationskanälen jedenfalls auch und gerne tagesschau.de, nicht jedoch die Reklameklickstrecken der Zeitungsverleger oder gar der Privatsender. Was das "sich der Konkurrenz stellen" angeht, herrscht hierzulande eher wie in allen durch Lobbyismus verseuchten politischen Bereichen eher die Wahrheit, die sich hinter den neoliberalen PR-Parolen verbirgt: Konkurrenz wird nicht am Markt bekämpft, man entledigt sich ihrer durch Gesetzgebung oder geeignete politische Rahmenbedingungen. Wofür bezahlt man schließlich "Leih-Beamte" ... ;.)

Hans am 05.05.2008:

Genau, lasst die Leifs dieser Republik auch noch Zeitung machen. Die Inhalte dafür werden ja schon produziert. Im Gegenzug eine kleine GEZ-Erhöhung: Macht doch nix. Der SWR-Chefreporter hat sich mit seinem Beitrag selbst entlarvt. Denn mit Qualitätsjournalismus nix zu tun. Das war billige PR. Die pöhsen Verleger wollen ja nur Geld verdienen. Puhuhuhu. Angst. Ich lach mich tot.

Ein Besuch am Karl-Marx-Monument

chemnitz karl-marx-monument skulptur

Karl-Marx-Monument

Wenn ich eine Stadt besuche, kann man davon ausgehen, dass das berühmteste Gebäude gerade renoviert wird und deshalb verhüllt ist. So sah es auf dem ersten Blick auch in Chemnitz aus, als ich das "Karl-Marx-Monument":http://de.wikipedia.org/wiki/Karl-Marx-Monument besuchen wollte, dass schon vor vielen Jahren in meiner "kindlichen Briefmarkensammlung einen bleibenden Eindruck hinterlassen hatte":http://de.wikipedia.org/wiki/Bild:Marx-briefmarke.jpg.

Prompt war das Monument natürlich von einem Gerüst umgeben. Dieses Mal wird aber nicht renoviert, sondern Kunst geschaffen. Denn aus den Rohrstreben rund um das steinerne Abbild des Trierer Philosophen entsteht das "»Temporary Museum Of Modern Marx«":http://www.marxmonument.de/projekt.html. Am 7.6.08 soll es dann fertig errichtet und besuchbar sein, das temporäre Museum um den dann verhüllten Marx-Kopf. "Christo":http://de.wikipedia.org/wiki/Christo lässt schön grüßen. Mit einem auf den ersten Blick etwas dünnen theoretischen Überbau (vgl. "diese Pressemeldung":http://www.ad-hoc-news.de/Marktberichte/de/16635974) soll die Aktion »zur Auseinandersetzung mit den Ideen von Karl Marx und der künftigen Stadtgestaltung von Chemnitz anregen« (Zitat Pressemeldung).

Randnotiz: Erschreckend ist, dass die Projektbeteiligten uns tatsächlich "eine Website zur Aktion vorsetzen, deren Text allen Ernstes komplett aus Bildern zusammen dilettiert wurde":http://www.marxmonument.de. Hoffen wir mal für die Besucherinnen und Besucher, dass die Aktion selbst handwerklich sauberer ausgeführt wird…

3 Kommentare

Gerrit am 18.05.2008:

Noch schlimmer als die Tatsache, dass die Website mit Bildern umgesetzt wurde: Es sind auch noch JPGs statt GIFs oder 8-Bit-PNGs!

andI611 am 19.05.2008:

Du hast es also tatsächlich getan und warst in Karl-Chemnitz-Stadt, wie man hier im Osten sagt... Der arme Karl. Was mit dem da angestellt wird, das würde Friedrich Engels zu Tobsuchtsanfällen gereichen. West-Touris...tztztz Weg da!! :-)

Ralf G. am 19.05.2008:

@Gerrit: Stimmt, das auch noch. Ein überzeugendes Stück jungakademischer Web-Kompetenz. @andI611 Armer Karl! Aber das Sein bestimmt bekanntlich das Bewusstsein, und Nachdenken darf im real existierenden Kapitalismus nur in einem verwertbaren Kontext von Aktion und Anlass statt finden. Daher können sie einfach nicht anders. Schließlich müssen auch Kunststudenten Tauschwerte produzieren. ;) War übrigens interessant dort in Karl-Chemnitz-Stadt.